November
Zuerst die schlechte Nachricht: Um die Zukunft des Kinos sieht’s düster aus. Jetzt die gute: Das betrifft nicht die kleinen Kinos, die Programmkinos.
Die Kassandrarufe, die das Ende der Kinokultur deklamieren, sind fast so alt wie das Kino selbst. Sie sind seit 90 Jahren immer mal wieder zu hören. Meist gingen sie einher mit Innovationen des Mediums Film selbst oder mit der Erfindung neuer Medien. Mal war es die Erfindung des Tons beim Film, dann die Farbe, später das Fernsehen, dann VHS und DVD, zuletzt das Streaming. Jedes Mal hieß es, zumindest aus kulturpessimistischer Betrachtung: Das ist das Ende des Kinos. War es aber nicht. Bisher.
Seit einem dreiviertel Jahr aber stellt ein fieser kleiner Virus vieles in Frage. Auch das Überleben vieler Kinos und sogar die Existenz des Kinos schlechthin. Von dem fiesen kleinen Virus haben wir vieles gelernt. Er hat zum Beispiel unseren Wortschatz erweitert: Der Lockdown führte die Eltern ins Homeoffice, der Nachwuchs übte sich im Homeschooling, fernmündliche Gespräche wurden per Facetime geführt und beim Einkauf galt striktes Social Distancing. Die Studenten versuchten per E-Learning die Dezidenz der Take Rate niedrig zu halten. Der vulnerablen Gruppe der Senioren, oft multimorbid vorbelastet, wurde Cocooning nahegelegt. Im Laufe der Zeit jedoch konnte dann professionelles Containment mit Hilfe von Handytracking mittels der Pepp-PT-App die Reproduktionszahl RNull senken und somit die Kurve auch Dank Contact Tracing unter den Peak bringen. Und spätestens im Sommer haben wir dann gelernt, uns von potentiellen Superspreader Events wegen ihres gefährlichen Dispersionsfaktors k fernzuhalten.
Wer auch viel von dem fiesen kleinen Virus gelernt hat, das sind die großen Filmstudios vor allem aber nicht nur in Amerika. Sie haben gelernt ihn zu benutzen. Seit Jahren ist es den Disneys, Warners, Paramounts und wie sie alle heißen, nämlich ein Dorn im Auge, dass sie die Einnahmen aus dem Vertrieb ihrer Produkte, den Filmen, mit Zwischenhändlern, den Kinos, teilen müssen. Grob gesagt: 50 : 50. An diesem Einvernehmen haben die großen Studios in den letzten Jahren immer mal wieder gekratzt, versucht es zu ihren finanziellen Gunsten zu verschieben. Die Kinos drohten daraufhin mit Boykotten einzelner Blockbuster. Ein weiterer Versuch die eigenen Profite zu vergrößern ging dahin, das Veröffentlichungsfenster der Kinoerstauswertung zu minimieren. Filme also nicht wie bisher nach sechs Monaten, sondern schon nach einem Monat in die Streamingauswertung zu geben.
Seit dem Aufkommen des Streamens und dessen enormen Erfolg wird in Hollywoods Chefetagen mehr oder weniger offen (eher weniger) über die Möglichkeit spekuliert, die Filme über eigene Streamingportale sogar zur Erstaufführung zu bringen. So richtig getraut hat man sich aber bisher nicht. Zu groß die Unwägbarkeiten und somit das finanzielle Risiko. Im Kern geht es um die Frage: Werden die Endverbraucher bereit sein, für die Erstveröffentlichung eines neuen Films per Streaming ca. 30 $ oder € zu zahlen.
Dann kam die Coronakrise mit der weltweiten Schließung von Kinos und somit einer wöchentlich anwachsenden Halde, einem Rückstau von unveröffentlichten Filmen. Der ideale Zeitpunkt, um zumindest mit einem Teil davon (incl. Großproduktionen) zu experimentieren bzw. sie im eigenen Streamingportal oder bei Amazon zu vermarkten. Genau dies geschieht im Moment und ist zumindest zum Teil dafür verantwortlich, dass das Kinoangebot derzeit so mager ausfällt. Zumindest für die großen Kinoketten. Sollte das Experiment gelingen, die Kunden also bereit sein, die hohen Streamingkosten für eine Erstveröffentlichung zu zahlen, sieht es für die Multiplexe ziemlich düster aus.
Aber die gute Nachricht, auch für uns im Kreml, ist, wie gesagt, dass kleinere Einzelkinos davon vorerst kaum betroffen sein werden, da das Marktgeschehen für europäische Filme und amerikanische Independent Produktionen erst mal weiterläuft wie gehabt.
KREML Programmkino – Thomas Lawetzky